Alle Steuerpflichtigen,

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen

Beitrag Teilen ANDRÄ Consulting Juni 30.06.2018

Führt die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- oder
Gewerbesteuer zu Steuernachforderungen oder Steuererstattungen, sind diese per
Gesetz zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres,
in dem die Steuer entstanden ist. Für nachzuzahlende oder zu erstattende
Steuer betragen die Zinsen für jeden vollen Monat 0,5 %, im Jahr also 6
%.

Die Verzinsung ist unabhängig von einem Verschulden des Finanzamts oder
des Steuerpflichtigen. Zweck der Regelungen ist es, einen Ausgleich dafür
zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen
Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Mithilfe der sog. Vollverzinsung
sollen Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus
dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheides objektiv oder typischerweise
entstanden sind, ausgeglichen werden. Allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung
vereinnahmte der Fiskus im Bereich der Zinsen in den letzten Jahren mehr als
2 Mrd. €.

Nunmehr zweifelt der Bundesfinanzhof (BFH) an der Verfassungsmäßigkeit
von Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015.

Mit Beschluss vom 25.4.2018 gewährte er daher in einem summarischen Verfahren
Aussetzung der Vollziehung. Nach seiner Auffassung bestehen im Hinblick auf
die Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz
überschreitet den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität
erheblich, da sich zwischenzeitlich ein niedriges Marktzinsniveau strukturell
und nachhaltig verfestigt hat.

Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe besteht
bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht. Aufgrund der auf moderner
Datenverarbeitungstechnik gestützten Automation in der Steuerverwaltung
könnten Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung
einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den
jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz des Bürgerlichen Gesetzbuchs
nicht mehr entgegenstehen. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe
wirkt in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser
Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.

Eine Schelte geht auch an den Gesetzgeber. Dieser ist im Übrigen von Verfassungs
wegen gehalten zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung
des in der Abgabenordnung (AO) geregelten Zinssatzes auch bei dauerhafter Verfestigung
des Niedrigzinsniveaus aufrechtzuerhalten ist oder die Zinshöhe angepasst
werden muss. Das hätte er zwar selbst auch erkannt, aber gleichwohl bis
heute nichts getan, obwohl er vergleichbare Zinsregelungen in der AO und im
Handelsgesetzbuch dahin gehend geändert hat.

Avatar-Foto
ANDRÄ Consulting
Juni 30.06.2018
Beitrag Teilen
Digitale Kanzlei